Fast jede dritte Schwangerschaft endet vorzeitig, 80 Prozent davon in den ersten zwölf Wochen. Über den Verlust zu sprechen, das gilt als gesellschaftliches Tabu. Auch Mark Zuckerberg und seine Frau Priscilla teilen dieses Schicksal: „Es ist eine einsame Erfahrung”, schreibt der Facebook-Gründer.
Hannover. Paul sollte das Baby heißen. Oder Christina, wenn es ein Mädchen geworden wäre – so wie ihre Großmutter. Als Manuela in der siebten Woche schwanger war, malte sie sich für ihr Kind ein wunderbares Leben aus. Als ihr Arzt bestätigte, was der Schwangerschaftstest ankündigte, waren alle Alltagsprobleme und der Stress im Job nebensächlich. Einzig das ungeborene Kind, ein absolutes Wunschkind, zählte. Doch aus der Vorfreude wurde von einer Sekunde auf die andere Verzweiflung. Die Worte, die zwei Wochen später ihr Frauenarzt bei der Routineuntersuchung zu der 25-Jährigen sagte, wird die junge Frau aus Essen nie vergessen. „Ich finde den Herzschlag nicht.“
Das Thema Fehlgeburt gilt als großes Tabu. Mark Zuckerberg, Facebook-Chef und ein Mann, der gewöhnlich nichts über sein Privatleben bekannt gibt, hat mit seinem Bekenntnis eine Debatte ausgelöst. Mark und Ehefrau Priscilla hatten drei Jahre lang versucht, dass sie schwanger wird. Dreimal erlitt Priscilla eine Fehlgeburt. „Man beginnt Pläne für die Zukunft zu schmieden und dann sind sie nicht mehr da. Es ist eine einsame Erfahrung”, schreibt der 31-Jährige. Gespräche mit Freunden hätten dem Paar geholfen. Die meisten würden dies aber nicht tun – aus Scham und aus Sorge, andere Menschen könnten denken, die Eltern seien selber schuld. Deshalb kämpft man allein”, schreibt er.
So wie Manuela. Von dem geplanten Familienleben ist eineinhalb Jahre nach der Fehlgeburt nichts geblieben. Die 25-Jährige suchte Trost bei Freundinnen, ihr Mann Markus konnte seiner Frau nur beistehen, ihr wirklich zu helfen, vermochte er nicht. Bis heute fällt es ihr schwer, das Schicksal, das so viele Frauen durchmachen müssen, zu akzeptieren. Fast jede dritte Schwangerschaft endet vorzeitig, 80 Prozent davon in den ersten zwölf Wochen. Über den Verlust zu sprechen, das gilt als gesellschaftliches Tabu.
Diese Zahlen hatte Manuela vor ihrer Schwangerschaft ausgeblendet. „Natürlich kannte ich diese Quoten“, sagt sie heute, „aber das nimmt man doch gar nicht wahr.“ Ihr Partner Markus hat in den schwierigen Zeiten die Rolle des starken Ehemanns übernommen, stellte seine eigene Trauer hinten an. „Was meine Frau erlebt hat, das wünscht man niemandem. Die Belastung, körperlich wie psychisch, war enorm“, sagt er. Ihre Beziehung litt unter der Trauer, aber das Paar kämpfte sich durch.
Gerda Palm erlebt diese Wut, diese Trauer und auch dieses Versteckspiel täglich. Die Vorsitzende der Initiative „Verwaiste Eltern“ klagt: Frauen vermeiden aus Schamgefühl, aus Angst vor dem Gerede der Kollegen und auch aus falschem Stolz, sich mit diesem Thema öffentlich auseinanderzusetzen. „Vor allem müssen wir über die Gefühle reden dürfen. Es wird den Frauen ausgeredet, dass sie ein Recht haben zu trauern“, sagt sie.
Ein Zustand, den Facebook-Chef Zuckerberg ändern will. Negative Erfahrungen gehörten zum Leben dazu. „Diese Dinge trennen uns nicht mehr, sie bringen uns näher zusammen. Darüber zu sprechen schafft Verständnis und Toleranz und gibt uns Hoffnung.”
Worte, die Sandra Tränen in die Augen treiben. Viele Jahre versuchte die 36-Jährige aus Nürnberg schwanger zu werden, drei Fehlgeburten hatte sie erlebt, bevor vergangenes Jahr mit Lisa ihr Familienglück komplett wurde. „Die Ärzte gaben mir das Gefühl, ich sei krank.“ Das Prozedere war immer gleich, daran gewöhnen konnte sich Sandra nie. Morgens wurde sie für den Eingriff ins Krankenhaus bestellt, sie wartete in kalten Zimmern mit dunklen Linoleumboden, abends – nach einem Tag voller Torturen – brachte sie ihr Partner heim. Für die Mediziner war das Thema abgehakt, für die 36-Jährige noch lange nicht. „Eine Fehlgeburt wird als Bagatelle abgetan“, sagt Gerda Palm. Als Routineeingriff. Die Trauerbegleiterin wünscht sich mehr Normalität. „Je mehr Leute sich dazu bekennen, gerade bekannte Personen, umso mehr wird gerechtfertigt, dass man über das Thema reden darf.“
Von Carsten Bergmann